Ich wollte einen Hund – Ich bekam einen Angsthasen

Schon seit mehr als 20 Jahren will ich mir einen Hund anschaffen. Irgendwas hatte mich bisher jedoch immer davon abgehalten. Anfangs fehlte das Geld, später die Zustimmung des Vermieters, die Zeit oder auch die Möglichkeit, den Hund mit ins Büro zu nehmen.

Dank Corona hat sich dies geändert. Der letzte Baustein – die Zeit – ist nun gegeben, denn ich bin seit Beginn der Pandemie im HomeOffice, und der Arbeitgeber hat bereits angekündigt, dass man künftig 80 bis 90% im HomeOffice wird arbeiten dürfen. Geld – Check. Zeit – Check. Platz – Check. Vermieter – Check. Bürohund – Check. Auf geht es!

Die Recherche

Und so beginne ich, zu recherchieren. Als erstes treffe ich natürlich auf Angebote bei eBay und Co, wo Züchter ihre Welpen anbieten. Durchweg vierstellig, und ich denke mir: Warum extra züchten, es gibt doch genug Hunde, die ein Zuhause suchen. Also checke ich, was die Tierheime in der Umgebung zu bieten haben. Bei dem hier im Ort werde ich nicht fündig. Die Webseite hoffnungslos veraltet, die Bewertungen bei google vernichtend. „Schlimmer als in einem rumänischen Shelter“ war die durchgängige Meinung. Unter zwei Sterne, eine solche Bewertung muss man erst einmal hinbekommen.

Auch in der Nachbarschaft war nicht viel zu holen. Überall das selbe Bild: Ein paar verbliebene „Problemhunde an erfahrene Halter“, teilweise auch nur an „Halter außerhalb Bayerns“ (Weil die Haltung bestimmter Rassen in Bayern generell verboten ist…). Hier habe ich mich also abschrecken lassen durch „hunderte Problemhunde“ in den Tierheimen rund um München. Nicht ein Hund war dabei, der als „anfängerfreundlich“ beschrieben wurde.

Der Tierschutzverein

Bei der weiteren Suche wurde ich dann auf die zahlreichen Tierschutzvereine aufmerksam, die Hunde aus dem Ausland nach Deutschland holen. In meiner Unerfahrenheit wurde ich hier schnell geblendet und nahm Kontakt zu einem dieser Vereine auf, der grade mit einem mitleiderregenden Beitrag fragte „Auch nach Wochen keine Anfragen, will denn niemand diesen Hund?!“. Ich solle doch mal einen Fragebogen ausfüllen, und dann werde man sich bei mir melden. Gesagt, getan. Es wurde nach Hundeerfahrung gefragt, die Wohnsituation wollte man wissen. Wie viel Zeit man aufbringen könne und was man alles mit dem Hund geplant habe. Gewissenhaft habe ich Auskunft gegeben. Die Kurzfassung, denn das wird später wichtig: Ich habe keine Hundeerfahrung.

Zwei Tage später erhielt ich die versprochene Rückantwort. Man ertrinke in Anfragen, über 40 seien es nun gewesen, man werde sich durcharbeiten. Hier hätte ich zum ersten mal hellhörig werden müssen. Ein Hund, den angeblich auch nach Wochen des Bewerbens niemand will, erhält plötzlich duzende Anfragen? Schon bald kam die Antwort, der Hund sei anderweitig vergeben worden. Aber man hätte einen anderen, der passen könnte, auch ein sehr junger Hund. Ich solle bei Interesse doch ein Bewerbungsvideo machen, in dem ich mich vorstelle. Da ich keine besonderen Ansprüche an Rasse oder andere Eigenschaften habe und auch dieser Hund putzig war, erstellte ich das gewünschte Video.

Der Hund würde nicht zu mir passen, wurde mir bald mitgeteilt. Auf der Webseite war ein weitere Welpe, auch für den war ich nicht geeignet. So ein Welpe würde ja schon besondere Anforderungen stellen. Gesundheitlich könne ich die vermutlich nicht leisten, war der – nicht ausgesprochene – Unterton. Statt zu dieser Gelegenheit endlich hellhörig zu werden war ich beeindruckt davon, wie sorgfältig man doch scheinbar versucht, den passenden Halter für einen Hund zu finden. Ein etwas älteres, erwachsenes Tier würde besser zu mir passen, schrieb man mir, und hatte direkt den passenden Vorschlag für einen rund 5-jährigen Rüden. Ein Video gab es direkt dazu, zu sehen ein verspielter Hund, der gerne im Shelter herumtollt und mit der Pflegerin spielt.

Alarmglocken

Ich sagte zu, warum auch nicht. Ich wollte einen Hund, hatte keine speziellen Anforderungen und offenbar gab man sich größte Mühe, zum Hund das passende Herrchen (oder Frauchen) zu finden. Etwa 2 Wochen vor der geplanten Ausreise aus Rumänien hätte ich erneut hellhörig werden können. Man hat mir mitgeteilt, dass der Hund bei näherer Beschau doch gar kein Rüde war. Man habe bei der Aufnahme im Shelter wohl die Wurfgeschwister verwechselt. Aufgefallen sei das innerhalb des Jahres, in dem der Hund sein Dasein im Shelter fristete, wohl nie. Doch anstatt der Alarmglocken ging bei mir nur das Gelächter los. Ich war amüsiert über soviel Dusseligkeit beim Verein und habe natürlich trotzdem zugesagt.

Der Hund, superängstlich beim Tierarzt
Der Hund, superängstlich beim Tierarzt

Ein paar Tage vor der Ausreise dann wurden mir Bilder geschickt vom Hund beim Tierarzt – Ausreisecheck. Zu sehen ein extrem verängstigtes Tier, das am liebsten durch die Wand hindurchdiffundiert wäre. „Du brauchst dringend eine Box, ein Sicherheitsgeschirr wird nicht reichen“ wurde mir mitgeteilt. Bei eBay Kleinanzeigen wurde ich Gott sei Dank fündig. Der wirklich supernette Verkäufer hat mir die Box sogar nach Hause gefahren, als ich erwähnte, dass ich mit der Bahn kommen werde. Bei den Fotos jedoch hätten nun wirklich die Alarmglocken schrillen sollen. Im Nachhinein ist mir das bewusst, und auch etliche Menschen, die sich mit Hunden auskennen, haben die Fotos später kommentiert mit Worten wie „Spätestens da hätte der Verein selbst die Übergabe an dich blockieren müssen“ und „Auf den Fotos sieht man, das ist definitiv kein Hund für Anfänger, sondern ein absoluter Angsthund, der viel Erfahrung braucht“.

Die Übergabe

Als der Transport dann da war – die Übergabe fand auf einem Parkplatz in einem Industriegebiet statt – warteten wir mir etwa 10 anderen Neuhundebesitzern auf unseren Hund. Einer nach dem anderen wurde an der Leine aus dem Transporter geführt, teilweise sprangen die Hunde dem Neubesitzer sogar in die Arme. Dann war meiner dran. Das Sicherheitsgeschirr solle man dem Fahrer geben, der legt es dem Hund an und übergibt den Hund dann. Nach einer Minute kam der gute Mann aus dem Transporter zurück, drückte mir das Geschirr in die Hand und sagte „Dog not friendly“. So nahm man also die Box, bugsierte den Hund irgendwie hinein und übergab mir die Box. Nicht mehr deren Problem nun, das konnte man in den Augen des Fahrers erkennen.

Der Angsthase, wenige Tage nach seiner Ankunft bei mir, noch ohne Geschirr
Der Angsthase, wenige Tage nach seiner Ankunft bei mir, noch ohne Geschirr

Acht Wochen ist das nun mittlerweile her. Ich habe das Sicherheitsgeschirr in den ersten drei Wochen nicht an den Hund gebracht. Er traut mir nicht, weicht fast immer aus, lässt sich nicht berühren und falls es doch mal passiert, verfällt er in eine Schockstarre. Immerhin, weder Knurren noch Bellen wurde je gegen mich gerichtet. Nach drei Wochen schickt der Verein eine Tiertrainerin, um dem Hund das Geschirr überzustreifen. Ich erwarte eine Hundeflüsterin, die mit geschickten Handgriffen und gutem Zureden das Geschirr anlegt.

Was ich dann aber erlebe ist eine „Hundetrainerin“, die ich weiterhin nur noch als Schlächterin beschreibe. Während sie den Hund in meinem Wohnzimmer mit einer Leine einfängt bieselt und kackt sich das Tier vor lauter Panik ein. Und doch schafft der Hund es, sich der Fangleine zu entziehen und flieht ins Arbeitszimmer. Die Geräusche, die der Hund beim zweiten Einfangversuch macht, gehen durch Mark und Bein und werde ich mein Leben nicht vergessen. Das war nackte Panik ums eigene Leben. Irgendwann ist das Tier so ausgepowert, dass es alle weiteren Handgriffe über sich ergehen lässt. Die Schlächterin verlässt triumphierend die Wohnung, „so schwer war das doch gar nicht“, und hinterlässt mir einen Hund, der nun noch panischer ist als je zuvor.

Das Vertrauen ist weg

Was wir in den ersten drei Wochen aufgebaut hatten war nicht viel, aber es war stetig mehr. Sie lief mir hinterher, sie war neugierig, wollte alles erkunden. Sie wollte nach draußen, als ich die Balkontür einen Spalt öffnete, sie war tagsüber aktiv und beobachtete mich aufmerksam. Das alles war vorbei. Und bis heute, weitere 5 Wochen später, ist dieses Anfangsvertrauen nicht wieder hergestellt. Der Hund versteckt sich tagsüber fast durchgängig in seiner Schlafbox. Als er merkte, dass ich tagsüber die Tür zum Raum schloss, damit er draußen bei mir sein musste, rannte er morgens bei der ersten Regung meiner Wenigkeit im Bett in das Zimmer um zu verhindern, dass ich ihn dort aussperrte.

Der Hund kommt bis heute nur nachts raus. Tagsüber mache ich gelegentliche Lebendkontrollen, denn einen Hund, den man nie sieht, kann man auch gesundheitlich nicht einschätzen. Immerhin sind wir mittlerweile wieder soweit, dass sie Leckerli aus meiner Hand nimmt. Aber nur, wenn sie auf der Couch liegt und ich mich ihr auf einer bestimmten Art und Weise auf dem Boden sitzend nähere. Hinlaufen? Sie rennt weg. Zu schnelle Drehung auf dem Stuhl? Sie rennt weg. Eine falsche Handbewegung? Weg. Und so weiter, und so fort. Nach acht Wochen habe ich nun also einen Angsthasen zu Hause, der nicht auf seinen Namen reagiert, der sich den ganzen Tag versteckt und normalerweise nur nachts zum bieseln und kacken (ins Wohnzimmer…) rauskommt.

Hausleinen werden durchgebissen. Eine normale Leine wird mit Panikattacken quittiert. Das Treppenhaus? Panik. Schon der Gang zur Wohnungstür verursacht Panik, seit die Schlächterin da war. Es war eine blonde Frau. Seither werden blonde Frauen, die zu Besuch sind, verbellt. „Der Hund wird die Aktion nicht mit dir in Verbindung bringen“, wurde mir zuvor vom Verein gesagt. Bullshit, sage ich. Ich wollte einen Hund, mit dem ich dreimal am Tag raus kann, dem ich ein paar Kommandos beibringen kann und mit dem ich gelegentlich ein bisschen kuscheln kann. Nichts dergleichen ist machbar.

Was tun?

Recherchiert man im Internet gibt es zwei grundlegende Strömungen: Die des Vereins (Des macht man mit gehörigem Nachdruck, bis der Hund das kapiert) und die vieler anderer Vereine (Das kann Monate oder Jahre dauern, bis der Hund vertrauen fasst, bis dahin ignoriere ihn bitte komplett). Und ich sitze hier zu Hause, ohne Erfahrung und Plan, und weiß nicht, was ich mit dem Hund wirklich machen kann, um ihn zu einem „Hund“ zu machen und ihn Vertrauen zu mir finden zu lassen. In dem Zustand ist es unmöglich, nur nach draußen zu gehen, geschweige denn vielleicht mal zu einem Tierarzt.

Heute hat der Hund Durchfall, gekotzt hat er auch. Ich weiß nicht, ob das an der Hitze liegt oder am Futter oder an was ganz anderem. Gefressen hat er heute bisher nichts, getrunken kaum. Wenn er heute Nacht nichts zu sich nimmt müsste er morgen unbedingt zum Tierarzt. Nur wie? Und wer hat nun Recht damit, wie man an einen solchen Hund „ran kommt“? Fragst du 10 Leute bekommst du 12 Meinungen. Und die sind teilweise absolut gegensätzlich.

Ich weiß hier echt nicht mehr weiter. Ich weiß nur, dass wir das nun irgendwie gemeinsam durchstehen werden. Denn klar ist auch: Die Anschaffung eines Hundes ist ein Commitment. Man kann sich keinen Hund zulegen und bei dem ersten Anzeichen von Problemen diesen wieder abgeben. Wer sowas macht hat in meinen Augen nur Verachtung verdient. Und doch werden die Tierheime bald voll sein, wenn die ersten merken, dass es gar nicht so einfach ist, mit einem Hund nach Malle zu fliegen. Und mit einem Angsthasen erst recht nicht…

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1 comment for “Ich wollte einen Hund – Ich bekam einen Angsthasen

  1. Helmut Tober-Matteo
    21. Juni 2021 at 22:41

    Du wirst es schaffen!
    Leider haben Dir und Deinem Hund „dumme Menschen“ geschadet. Aber es geht. Ich / wir haben selbst einen Hund, der viele Baustellen hat(te), aber es geht.
    Und Du wirst Unterstützung bekommen, die hilft. Schnell? Schnell wird es nicht gehen.
    Mach Dich auf einen Weg, der sich lohnt. Ich weiß, wovon ich spreche!

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